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  • AutorenbildTed Mönnig

Wo die Ewigkeit zu Hause ist

Aktualisiert: 17. Sept. 2023


Nun, wo ich auf eher unfreiwillige Art jede Menge zusätzliche Zeit gewonnen habe, möchte ich die Gelegenheit nutzen, auf ein paar Erfahrungen zu sprechen zu kommen, die ich in den vergangenen Tagen aus verschiedenen Gründen nicht wiedergeben konnte.



Dass die Färöer-Inseln ein beeindruckendes Stück Erde sind, durfte ich Euch ja schon hinreichend zeigen. Neben all den landschaftlichen Schönheiten, den spektakulären Gegensätzen, den schwindelerregenden Aussichten gibt es natürlich vor allem die Einwohner, die von allem, was das Land zu bieten hat, am meisten Eindruck auf mich gemacht haben. Ja! Die Menschen sind es, die die Färöer so besonders macht. Ihre natürliche unvoreingenommene Freundlichkeit, das Lächeln, mit dem sie einander begegnen… ich habe seit Peru, das ich 1999 zusammen mit meinem Bruder bereist habe, kein Land mehr erlebt, wo so viel gelächelt wird. Das führt natürlich dazu, dass ich sehr schnell mit den Menschen in Kontakt komme. Bei so viel Aufgeschlossenheit kann ich gar nicht anders! Die färingische Sprache ist angenehm breit und klingt ein wenig wie dänisch, norwegisch und isländisch. Als Deutscher kann ich sogar einige Worte verstehen, die unserer Sprache ähnlich sind. Insgesamt wirkt es beruhigend, die Sprache nur zu hören. In ihr klingt die natürliche Gelassenheit, die nur einem Volk eigen ist, das über mehr als fünf Jahrhunderte unter harten, rauhen Bedingungen zu überleben gelernt hat. Das weiß, wie schnell das Wetter umschlagen kann. Das keine Zeit zu kennen scheint und irgendwie so gar nicht in unsere schnelllebige, durchglobalisierte und ultra-vernetzte Gesellschaft passt.



Überhaupt, die Zeit. Ein seltsames Phänomen, dessen ganz eigenes Gesicht ich hier lieben lernen darf. Eine Uhr braucht man eigentlich nur als Sportler (für die eigene Bestätigung) und für die Busfahrpläne, die im übrigen perfekt aufeinander abgestimmt sind und so auch funktionieren. Aber eigentlich bemisst sich die Zeit hier nach ganz anderen Maßstäben. Sie hat etwas von dem Rhythmus, mit dem die Wogen des unbarmherzigen Ozeans an die Strände und Klippen schlagen.

Flap, das Wasser kommt.

Scht, das Wasser geht.

Flap.

Scht.

Immer so weiter, ein unendlich währendes Hin und zurück, das durch nichts aufzuhalten ist. Nicht durch Termine, nicht durch das Internet und auch nicht durch alle anderen Errungenschaften, die der Mensch hierher gebracht hat.

Flap.

Scht.

Darin mich ein ums andere Mal zu verlieren, ist meine schönste Erfahrung gewesen. Dem Atlantik zuzuhören ist etwa so, wie der Sprache der Färinger zu lauschen. Man muss nichts verstehen und versteht doch. Man lässt sich auf einem Stein, einer Anhöhe oder dem Strand nieder und beobachtet die Zeit, die nie zu vergehen scheint. Eine wunderschöne Vorstellung, zumal kein Handy klingelt und keine Nachricht ankommt, weil ich einfach viel zu weit weg von jeglicher Anbindung bin.



Die Einheimischen begegnen sowohl einander als auch Fremden gegenüber mit einem fast kindlichen Urvertrauen. Es gibt faktisch keine Kriminalität. Die Polizei ist dein Freund und Helfer, wie ich am eigenen

Leib erfahren durfte. Ich kann in einem Café Handy, Portemonaie und Laptop auf dem Tisch lassen, während ich aufs Klo gehe. Die Menschen schließen ihre Häuser nicht ab, noch nicht einmal nachts. Viele Türen sind sogar ganz geöffnet. Immer herein, du bist willkommen! Gibt es eine perfektere Gesellschaft?


Am Samstag nach dem Marathon, auf dem Rückweg von Tjørnuvik nach Torshavn, hatte der Bus kurz in einer Bucht direkt an der Meeresstraße, die hier Sundini heißt, gehalten. Ich konnte zunächst keinen Grund dafür erkennen. Doch als einige Insassen aufs Wasser zeigten und Aaaah und Oooooh riefen, wusste ich bescheid. Was für ein Glück, ein solches Schauspiel zu erleben! Hier tobten ganz nahe am Ufer ein paar Grindwale, schossen in die Höhe und ließen sich wieder aufs Wasser klatschen. Hin und wieder stieß einer eine Fontäne aus. Grindwale sind eigentlich keine Wale, sondern gehören zur Gruppe der Delfine, also intelligente, verspielte Tiere. Wer Grindwale sichtet, ist nach dem hiesigen Gesetz verpflichtet, dies umgehend der Regierung zu melden. Es wird genau Buch darüber geführt. Nicht etwa, weil sie als besonders schützenswert angesehen werden, sondern um sie erbarmungslos zu jagen. Die Grindwaljagd gibt es schon, seit die ersten Menschen hier siedeln. Etwa fünfhundert Jahre lang war sie lebensnotwendig zur Ernährung der Bevölkerung. Was essbar ist, wird unter allen Bewohnern gerecht aufgeteilt. Seit die Weltmeere übermäßig mit Quecksilber belastet sind, wird vom Verzehr des Fleisches abgeraten. Trotzdem gerät hier ein ganzes Volk in einen Blutrausch, wenn von höchster Stelle zur Grindwaljagd geblasen wird. Mit Motorbooten werden die Tiere in einen Fjord oder eine Bucht getrieben, wo sie nicht entkommen können. Dort warten Menschen mit speziellen Harpunen, um sie möglichst schnell zu töten und noch im Wasser zu schlachten. Wie wir alle wissen, kann da wo Menschen am Werk sind, auch eine Menge schief gehen. So passiert es auch, dass der Pfeil der Harpune nicht direkt ins Hirn eindringt und zu sofortigem Tod führt. Das Resultat ist ein langer qualvoller Kampf, bis die Erlösung durch ein langes Messer eintritt. So hat auch dieses Paradies seinen ganz eigenen Kratzer im Lack. Ich bin nicht in der Position, darüber zu urteilen. Tierschutzorganisationen wie Sea Shepherd sind in diesem Land nicht gern gesehen und größtenteils mit einem Bann belegt. In einer Reportage habe ich mal einen Fischer sagen hören, die sollen zu Hause bleiben und sich um ihren Kram kümmern. Ich kümmere mich auch um meinen Kram, habe ich mich doch genauso strafbar gemacht wie die anderen Insassen des Busses, die die Sichtung nicht gemeldet haben.


Wenn ich in einigen Tagen mit eins komma neun weinenden Augen nach Hause zurück kehre, dann nehme ich eine Fülle von unvergesslichen Bildern und Eindrücken mit. Berührende Begegnungen, wie zum Beispiel mit dem Rettungssanitäter Tristan, der sich nach meinem Schlaganfall als erstes um mich gekümmert und mir mit seiner ruhigen routinierten und doch irgendwie lockeren Art jegliche Angst genommen hat, die einen in so einer Situation überkommt. Wie dem namenlosen Passanten, der mich ohne lange zu fragen zur nächsten Polizeistation begleitet hat, von wo ich auf professionelle Hilfe zählen konnte. Wie der etwas schüchternen Krankenschwester, die mit unverhohlener Bewunderung angemerkt hat, dass meine Augen unterschiedliche Farben haben, während sie meinen Blutzucker checkt. Wie dem Busfahrer der Linie 300, der jedem Fahrgast – meist Urlauber auf Wandertour – geduldig und freundlich erklärt hat, wo sie aussteigen müssen und dann auch von selbst die Haltestelle angefahren hat und ein Zeichen gegeben hat. Wie dem Mädchen im Café Paname, das schon nach der ersten Tasse wusste, dass ich meinen Kaffee gern mit etwas mehr Zucker mag. All diese Menschen und die vielen anderen, die ich hier nicht aufzählen kann, verdienen meine Liebe, Respekt und Dankbarkeit. Es ist die ursprüngliche und unverfälschte Freundlichkeit ohne jeden Gedanken an Kommerz, mit der sie nicht nur mir begegnen. Ein einfaches Lächeln öffnet jedes Herz.



Ein sehr wichtiges und nachhaltiges Gefühl, das ich mit nach Hause nehme, ist tiefe Demut und Dankbarkeit. Ich danke dem Schicksal, das mich auf dem Weg von der verrückten Idee bis zur glücklichen Landung hierher geführt hat. Ich danke der Natur, dass sie mir zwei gesunde Beine, einen widerstandsfähigen Körper und einen wachen Geist gegeben hat, damit alle drei in gemeinsamer Anstrengung dieses Land entdecken dürfen. Ich empfinde tiefe Demut vor der entrückten Schönheit der Färöer, die zart und schützenswert wie ein junges Kätzchen und auch brutal und gefährlich wie ein ausgewachsener Löwe daher kommen kann, manchmal binnen Sekunden. Wenn du im Tal oder einem der Dörfer stehst und dich umschaust, sieht alles so still, friedlich und verträumt aus. Auf den Hängen und Kämmen entfesselt der Himmel brüllend und fauchend seine rohen Gewalten und du merkst, wie einsam und verletzlich du als Mensch hier oben bist.


Dies alles hat sich in meinem Kopf festgesetzt und wird mich noch sehr lange durch mein Leben begleiten. Als Erfahrung, als Lektion, als Traum, der niemals endet. Ich wünsche mir, dass in unserem verwöhnten Deutschland, wo vieles viel zu einfach und bequem ist, ein Stückchen von jeder dieser Inseln landet, um die Menschen lächeln zu lassen, etwas Demut in unser Leben zu bringen und die Geschenke, die wir schon lange nicht mehr zu schätzen wissen, wieder etwas wert sind.


So wie die Ewigkeit, die auf den Färöer-Inseln zu Hause ist.

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