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  • AutorenbildTed Mönnig

Warum wird man auf sowas reduziert?

An dieser Stelle muss ich mal was loswerden.

Zuweilen bekomme ich, direkt oder über Umwege, mit, wie andere Menschen reagieren, wenn über mich geredet wird. Und dann fällt hin und wieder der Spruch: „Ach, das ist doch der mit den Hörgeräten.“


Wie bitte?!


Ich mag vieles sein: grauhaarig, faltig, mittelgroß, Ehemann, Vater, Onkel, Sportler, Ex-Kollege, Nachbar, Freund, Sportkamerad, Unternehmer... Ich lasse mir auch „Typ“, „Kerl“ und sogar „Arschloch“ gefallen. Die Leute, die solche Ausdrücke für mich verwenden, mögen ihre Gründe haben, ob verständlich oder nicht. Aber mich auf eine Behinderung zu reduzieren, die ich selbst noch nicht einmal als solche empfinde, zeugt von wenig Achtung, schlecht entwickeltem Sozialverhalten und noch weniger Hirn. Und das ist in meinen Augen die wahrhafte Behinderung.


Im November 2020 bekam ich eine als Sensation aufgemachte Meldung zu lesen. Der Amerikaner Chris Nikic hat als erster Mensch mit Down-Syndrom einen Iron Man absolviert. 3,8 km schwimmen, 180 km auf dem Rad und zum Schluss noch einen Marathon (42,195 km) laufen. Ja und? Warum sollte er darin den Sportlern ohne Behinderung nachstehen? Ein Iron Man ist eine wahnwitzige sportliche Leistung und man muss schon mächtig einen an der Klatsche haben, um sich diesen Strapazen freiwillig zu unterziehen. Jeder, der sowas schafft, verdient den gleichen Respekt, nicht nur die Weltrekordjäger Frodeno, Kienle & Co. Insofern spielt es doch keine Rolle, unter welchen persönlichen Voraussetzungen Chris Nikic das geschafft hat. Er! Hat! Meinen! Respekt! So wie mein Kumpel Lehmy, der das in gut einer Woche durchziehen will.


Was ich damit sagen will: trotz vielfältiger Aufklärungskampagnen gibt es in unserer Gesellschaft nach wie vor einen Graben zwischen den Menschen, die sich als „normal“ bezeichnen und denen, die ihr Leben mit technischen Hilfsmitteln meistern. Oft ertappen wir uns dabei zu denken: ‘Oh, größten Respekt, wie sie/er das trotz Rollstuhl macht.‘ Hä? Jeder von uns, ganz gleich, ob wir uns auf 2 (?) Beinen oder Rädern bewegen, ob wir unsere Augen, Ohren, Arme usw. wie gewohnt benutzen können, hat Stärken und Schwächen. Und jeder, der sich einer neuen Lebenssituation zu stellen vermag, ist auf seine Weise lernfähig und in der Lage, sich an veränderte Bedingungen anzupassen. Das macht nicht nur uns als Menschen aus, sondern ist auch in der Flora und Fauna überlebenswichtig. Und der erste Urinstinkt eines Lebewesens ist nun mal das Überleben. Darin unterscheiden wir uns in keinster Weise vom Rochen, vom Schwein oder von der Kellerassel. Wenn ein Mensch durch Krankheit oder Unfall auf einen Teil seiner körperlichen Grundfertigkeiten verzichten muss, übernehmen im Laufe der Zeit, nämlich durch einen Lernprozess, andere Körperteile die Aufgaben. So sind wir alle auf unsere Weise fähig, einen Beruf auszuüben, sportliche Leistungen zu erbringen oder Kunstwerke zu erschaffen. Das sind menschliche Leistungen, die sich in nichts unterscheiden, egal ob sie mit oder ohne Augenlicht, Hörsinn oder motorischen Einschränkungen erbracht wurden. Und man muss da auch keinen Hermann drum machen.


Erst wenn alle Menschen in der Lage sind, ihren Kopf in der Weise zu benutzen, für die er eigentlich gemacht ist, wird es keinen Unterschied mehr machen, mit welchen Eigenschaften wir zur Welt kommen oder nach einem Ereignis einen Teil unseres Daseins bewältigen müssen. Wenn das Zusammenleben von Menschen mit und „ohne“ Einschränkungen so normal ist wie sich ein Butterbrot zu machen, dann bedarf es auch keiner Debatten um Inklusion mehr.


Ob die Menschheit jemals dazu in der Lage sein wird?


© T. Mönnig, 20.08.2021

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