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  • AutorenbildTed Mönnig

Leonardo und die Tücken des Zwischenmenschlichen

Aktualisiert: 8. Juni 2022

Wer mich etwas besser kennt, weiß, dass ich neben dem Schreiben und der verrückten Liebe zum Laufsport noch einem dritten Steckenpferd fröne, das zugegebenermaßen ob der knappen Freizeit und dem damit verbundenen Aufwand etwas zu kurz kommt. Es ist unser Garten, den ich gemeinsam mit meiner Frau mal mit mehr, mal mit weniger Hingabe pflege, je nachdem ob gerade Hecke schneiden, Unkraut jäten oder das Setzen neuer Gewächse ansteht. Aber es ist willkommener Ausgleich zum beruflichen Alltag, den ich sehr genieße.

Ein ganz spezieller Freund von mir ist Leonardo. Neben seiner gutmütigen und hoch gewachsenen Nachbarin Pinky-Winky wirkt er fast ein wenig bullig. Kenner werden es bereits ahnen: Leonardo bevorzugt einen sonnigen Platz, hat reichlich Durst, treibt prächtige altrosa Blüten und bildet wie seine Artgenossen furchterregende Dornen aus, die jedem tierischen oder menschlichen Wesen ohne Rücksicht auf Ansehen oder Verdienst signalisieren, ihm bloß nicht zu nahe zu kommen. Aus meiner Schulzeit ist mir noch Goethes Ballade von dem Knab‘ und dem Röslein präsent. Nun, der Bursche hatte wahrlich nichts Gutes im Sinne. Ist auch eine andere Geschichte. Ich hingegen nähere mich Leonardo mit dem größtmöglichen Respekt und nur in bester Absicht. Und manchmal muss ich im Stillen schon mit ihm schimpfen.

Mensch Leo, ich beseitige doch nur das Unkraut zu Deinen Füßen, damit dir andere nicht alles weg fressen!



Mensch Leo, ich schneide doch nur die Hecke, damit Du mehr Sonne abbekommst!

Mensch Leo, ich mähe doch nur den Rasen, damit Du richtig zur Geltung kommst!

Es nützt nichts. Leonardo sticht und stachelt und weicht keinen Millimeter zur Seite, wenn ich mich an ihm vorbei zu schwer zugänglichen Stellen zwängen muss.

In Leonardo erkenne ich einige meiner hochgeschätzten Mitmenschen wieder. Gutmütig, friedfertig und hilfsbereit, wie ich von Natur aus bin, begegne ich ihnen mit unvoreingenommener Freundlichkeit. Klar können mir nicht alle gleichermaßen sympathisch sein, aber da kann ja keiner was für. Menschen vom Schlage „meines“ Leonardo sind mir jedoch zunehmend unheimlich. Ganz gleich, in welch guter Absicht man ihnen begegnet: sie distanzieren sich, argwöhnen Schlechtigkeiten und fahren Dornen aus, bei denen sogar Leonardos Blüten vor Neid grün und gelb werden würden, wenn sie es könnten. Oft frage ich mich dann: Mensch Leute, was hab ich Euch getan? Ein Lächeln provoziert einen misstrauischen Seitenblick. Ein freundlicher Gruß erntet mürrisches Schweigen. Eine dargereichte Hand wird brüsk zurück gewiesen. Geht’s noch? Solcherart Gebaren kann selbst den ausgeglichensten Charakter nachhaltig verletzen und nährt letztlich Selbstzweifel an der Richtigkeit eigenen Tuns. Der erlösenden Erkenntnis auf die Sprünge verhalf mir dann einmal ein sehr angenehmes Gespräch mit einem überaus freundlichen und psychologisch geschulten Herrn. Es ist nicht so sehr mein Verhalten, was auf wenig Gegenliebe stößt; oftmals sind es die nur rudimentär ausgebildeten positiven Charaktereigenschaften der Gegenpartei, die unserei


ns derart zu schaffen machen. Es ist jetzt müßig, sich über den Verfall von Sitte und Anstand zu echauffieren. Wer Augen im Kopf hat und diesen zu benutzen weiß, versteht, was in unserer Gesellschaft schief läuft. Da hilft nur, mit gutem Beispiel voran zu gehen. Drüber stehen und gleichzeitig unter dem Radar bleiben. Freundlich und ansprechbar bleiben, aber nicht aufdrängen. Die kommen schon, wenn sie was von einem wollen. Der Südoldenburger verwendet gern den Ausdruck „Laufen lassen“, was mir als passioniertem Laufsportler unter meinesgleichen schon mal ein Schmunzeln entlockt.

Ich muss nicht mit allen und jedem befreundet sein und bei näherer Betrachtung möchte ich es auch nicht. Der seelischen und körperlichen Gesundheit zuliebe gehe ich so manchem Zeitgenossen lieber gepflegt aus dem Weg. Die wenigen richtigen Freunde, die mir über die Jahre erhalten geblieben sind, danken es mir umso mehr.

Mit Leonardo indes habe ich meinen Frieden gemacht. Er bekommt die gleiche Pflege wie der Rest des Gartens und darf mich zum Dank weiter kräftig piesacken. Bei ihm bin ich mir sicher: er meint es nicht so.


© T. Mönnig, 14. Aug. 2021


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