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  • AutorenbildTed Mönnig

Vom Antrieb eines Läufers



Manche Leute fragen mich, was mich beim Laufen antreibt. Was bringt mich dazu, an nasskalten Novemberabenden in Sportsachen und Laufschuhen hinaus vor die Tür zu gehen, mit Stirnlampe und skeptischem Blick zu den tief hängenden Wolkengebilden, zwischen denen nur selten die Sterne hindurch blinzeln? Welche Kraft führt dazu, dass ich dann beginne, einen Fuß vor den anderen zu setzen und bei den ersten Regentropfen nicht gleich umzukehren? Und das alles ganz freiwillig?


Während ich in Bewegung bin, läuft mein Denkapparat auf Hochtouren. Das ist das Schönste am Laufen. Erst wenn Knochen und Muskeln im Zusammenspiel mit Herzschlag und Atmung beginnen, ihren vertrauten Rhythmus zu finden, entfaltet mein Hirn seine volle Leistungsfähigkeit. Erst dann verknüpfen sich die Synapsen zu einem großen Bild, das vorher ein Gewirr einzelner Puzzleteile gewesen ist. Erst dann passt ein logischer Gedanke zum anderen und führt mich auf der Straße des Denkens voran, bis zur nächsten Abbiegung, Kreuzung, Steigungen hinauf und von der Kuppe wieder hinab. Nicht immer, aber meistens entstehen so die besten Texte.


Es können konkrete Ziele sein, die mich antreiben. Weniger sind es messbare Ziele wie z.B. eine persönliche Bestleistung oder eine bestimmte Kilometermarke. Das stellt sich von allein ein, wie ich längst festgestellt habe. Vielmehr motivieren mich Ereignisse, auf die ich mich schon lange vorher freuen kann; die Kopfkino hervor rufen. Meist ist es ein bestimmter Marathon, aber das muss es nicht zwingend sein. Manchmal reicht auch ein Halbmarathon in ganz spezieller Umgebung, wie zum Beispiel der Höhenflug-Sauerland-Trailrun, den ich im Juni zusammen mit meinem Freund Martin bewältigt habe. Aber auch die Laufreise zum Nürburgring und ins Dreiländereck im Vorjahr passt gut in diese Kategorie. Und natürlich die Erfüllung meines Traums von den Färöer-Inseln. Ohne Ziele bin ich nur ein halber Mensch, habe ich bemerkt. Kein Ziel vor Augen zu haben ist wie hundert mal um einen kleinen Teich zu laufen. Oder noch öder: die Stadionrunde auf einem einsamen Sportplatz.


Ziele sind reizvoll. Sie zwingen und befähigen mich gleichermaßen, mein Denken in Bahnen zu lenken, pragmatischer zu sein, zu planen. Welche Strecke gilt es zurück zu legen? Handelt es sich um einen herkömmlichen Stadtmarathon, reichen meist ein paar längere Laufeinheiten und etwas ergänzendes Krafttraining für eine starke Körpermitte. Bei Geländeläufen gehen die Überlegungen schon weiter. Welche Herausforderungen bringen Umgebung, Jahreszeit und klimatische Bedingungen mit sich? Wie muss ich an meiner körperlichen und mentalen Fitness arbeiten, um die gesamte Herausforderung zu bestehen? Neben dem Zusammenstellen der erforderlichen Ausrüstung müssen auch spezielle Trainingseinheiten absolviert werden. Für starke Steigungen ist Treppentraining ideal. Oder im Kraftraum immer wieder auf einen hüfthohen Kasten steigen.


Um sich Träume zu erfüllen, bedarf es einer gewissen Verrücktheit. Die Verwirklichung ihrer Träume ist für viele Menschen nur deswegen unerreichbar, weil sie sich schlichtweg nicht trauen. Immer wieder finden sie Gründe, es auf nächstes Jahr zu verschieben. Und wieder ein Jahr und wieder das nächste. Dann sind sie 80 und fragen sich, warum sie es nicht getan haben, als sie es noch konnten. Träume sind dazu da, angepackt zu werden, solange sie im Kopf sind. Ein Bild vor Augen führt zu Recherchen, Berechnungen, konkreten Planungen. Wenn dieses Gerüst erstmal steht, muss nur noch ein geeigneter Zeitpunkt gefunden werden. Meist ergibt sich dieser von selbst, beispielsweise in Form eines Wettkampftermins. Der Rest ist dann ganz einfach. Ich habe einen Tag X, bis zu dem ich auf den Punkt vorbereitet sein muss.


Um Läufer zu sein, muss ich nicht besonders schnell sein. Eher das Gegenteil hat mir in den letzten Jahren einen wahren Zuwachs an Lebensqualität beschert. Bin ich bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie noch von dem Gedanken an schnelle Zeiten, vordere Platzierungen und der respektvollen Anerkennung als "Rakete" beseelt gewesen, so hat mich der umstandsbedingte Wegfall von Wettkämpfen dazu gebracht, meine Einstellung zum Laufsport grundsätzlich zu hinterfragen. Was bringt mir ein Top-Ten-Altersklassen-Platz in einem der unsäglichen "virtuellen" Volksläufe, wenn es keine richtige Siegerehrung mit den dazugehörigen Emotionen gibt? Wozu hetze ich mich auf einem Stadtmarathon ab, um die Distanz in weniger als vier Stunden zu absolvieren, wo ich doch sechs Stunden Party haben kann? Warum wie ein Motocrosser durch den Wald jagen, wo doch bei gemächlichem Tempo das Laub so schön raschelt, ich nach Herzenslust in jede Pfütze hüpfen und mit offenen Augen träumen kann, wenn die Herbstsonne ihre goldenen Streifen zwischen den Baumstämmen spielen lässt? Wer nur nach Distanz, Zeit und Platz schielt, hat vom Laufsport nur die Hälfte verstanden.


Im Gegensatz zur Denkweise von Nichtläufern geht es nicht darum, Wettkämpfe zu gewinnen. Diese sind vor allem eines: große Freiluftpartys mit vielen Überraschungseffekten. Abgesehen von der Witterung ist es für mich immer wieder spannend, was für Menschen ich begegne. Mit ihnen allen teile ich meine Leidenschaft fürs Laufen, jeder davon setzt dabei seine eigenen Prioritäten. Von einer guten Platzierung über eine neue Bestzeit, dem Reiz, die eigenen Grenzen auszutesten bis zu entspanntem Sightseeing ist alles dabei. Dementsprechend unterschiedlich ist das Verhalten unmittelbar vor dem Start. Die Palette reicht von tiefer Konzentration über Aufwärm- oder Dehnübungen (ob sinnvoll oder nicht, lassen wir jetzt mal dahin gestellt) bis hin zum entspannten Plausch mit dem gerade zufälligen Nachbarn. Mancher fachsimpelt, andere scherzen einfach drauflos. Unterwegs und nach dem Zieleinlauf kann man gut beobachten, welchen Stellenwert gerade dieser Wettkampf hat. Es gibt Kämpfe um jede Position, verzweifelte und enttäuschte Gesichter, etwa wenn die angestrebte Platzierung oder Zielzeit verfehlt zu werden droht – und es gibt so viele glückliche Menschen, die froh sind, es einfach nur geschafft zu haben. Gerade ein Marathon ist eine solche körperliche und mentale Herausforderung, dass letztere Gattung die klare Mehrheit ausmacht.


Um Läufer zu sein, braucht es mehr als nur hin und wieder eine Runde im Wald – „Bäume zählen“, wie Nichtläufer es scherzhaft ausdrücken. Laufen ist für mich ein Grundbedürfnis, das ich mir mehrmals in der Woche erfüllen muss. Dabei ist mir Abwechslung ebenso wichtig wie die sozialen Kontakte.


Ich bin nicht nur auf der Strecke Läufer, ich bin es 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche.

Ich denke und fühle, wie ein Läufer denken und fühlen muss.


Weil mir Stillstand jeglicher Art zuwider ist.


Ich bin Läufer, weil ich an jedem Ort, den ich aufsuche, zuerst den Drang verspüre, hier eine Runde zu laufen. Es widerspricht meinem Naturell, eine Umgebung mit dem Blick aus dem Autofenster zu erkunden, weil hier einfach die Hälfte der Empfindungen fehlt: die Geräusche, der Geruch der Luft, bestimmte Perspektiven und so vieles andere.


Die mit einer Laufrunde verbundenen Genüsse sind es, die mich inspirieren, ganz gleich an welchem Ort und in welcher Stimmung ich mich gerade befinde. Es mag, je nach Wetterverhältnissen, etwas Überwindung kosten, hinaus in den Regen, die Kälte, den Wind oder auch die Hitze zu gehen und sich zwischen 5 und 35 Kilometer anzutun.


Aber es lohnt sich. Immer.

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