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Verliebt in die Stadt

  • Autorenbild: Ted Mönnig
    Ted Mönnig
  • 18. Juli
  • 7 Min. Lesezeit

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Für den heutigen Tag habe ich mir ursprünglich einen Tagesausflug an die Adriaküste vorgenommen. Doch schon bei den Recherchen zu den Bus- und Bahnverbindungen ist mir klar geworden, dass dieses Vorhaben nicht umsetzbar ist. Die einfache Fahrt hätte zwischen acht und neun Stunden gedauert, was an einem Tag nicht machbar ist. Nach Alternativen habe ich nicht lange suchen müssen. Wenn ich schon mal dieses schöne Land besuche, dann möchte ich auch die Hauptstadt sehen. Die Fahrt nach Ljubljana nimmt sich mit knapp drei Stunden sehr human aus und lässt ausreichend Zeit, die Stadt zu entdecken.

 

So nehme ich kurz nach halb zehn den Bus nach Maribor, um dort rüber zum Bahnhof zu schlendern und in den Expresszug zu steigen, der schon bereit steht. Eine Hin- und Rückfahrkarte, die für alle Busse und Züge in ganz Slowenien gelten soll und für einen Tag 15 Euro kostet, habe ich mir schon am Schalter des Busbahnhofs in Ptuj besorgt. Aber der Schaffner sagt mir, dass ein Aufgeld nötig sei, weil die Karte nur für Nahverkehrszüge gilt. So zahle ich schnell und unkompliziert drei Euro dazu. In Deutschland hätte ich für sowas Post von der Staatsanwaltschaft bekommen. Dazu kommt der freundliche Hinweis, dass der Zug nur bis Celje fährt und ab dort Busse für den Schienenersatzverkehr bereit stehen. Ich quittiere es mit einer knappen Dankesformel; was bleibt mir sonst übrig? Die Fahrt klappt wie am Schnürchen und zur Mittagszeit biegt der Bus auf den Bahnhofsvorplatz von Ljubljana ein. Hier wird mir der Hintergrund der Umstände klar. Das was mal ein Bahnhof werden soll, ist ein Wald aus Kränen und Gerüsten. Die Stadt bekommt einen schicken neuen Hauptbahnhof.

 


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Zum Namen der slowenischen Hauptstadt gibt es mehrere Deutungen. Die deutsche Übersetzung „Laibach“, die in Österreich noch immer verwendet wird, klingt irgendwie nach Dorf und wird der Lebendigkeit und Schönheit der Metropole überhaupt nicht gerecht. Eine weitere Deutung leitet sich vom lateinischen Flussnamen „Aluviana“ ab. Wer sich jedoch ein wenig mit slawischen Sprachen auskennt, der weiß sofort, dass die erste Silbe mit Liebe zu tun hat. So gefällt auch mir die Namensdeutung am besten, die vom volksetymologischen Begriff „Ljubljena“ für „geliebte Stadt“ her rührt. (nebenbei: Wissen und Begriffe hab ich in leicht abgewandelter Form von Wikipedia geklaut, also muss ich die Seite wohl als Quelle angeben.)

 

Vom Bahnhofsvorplatz aus wähle ich die erstbeste Straße in die Richtung, in der ich die Innenstadt und vornehmlich die Altstadt vermute. Kaum kommt mir der Hinweis auf die Burg in den Sinn, erblicke ich sie auch schon in luftiger Höhe. Der quadratische Turm mit den beiden Flaggen ist schon weithin sichtbar. Die Höhe liegt deutlich über der der Burg von Ptuj. Sportlich, aber machbar. Seit wenigen Tagen erst weiß ich, dass ich für die Burg eine Eintrittskarte benötige und diese auch online kaufen kann. In einem Straßencafé auf der Ecke widme ich mich kurz dieser Aufgabe und bekomme schnell die Information, dass die Tickets für heute ausverkauft sind. Hmmm, was nun? Mutig entschließe ich mich dennoch für den Aufstieg und möchte versuchen, so weit zu kommen, wie es ohne Eintrittskarte eben geht.

 



Zunächst einmal muss ich jedoch den Weg nach oben finden. Straßen, Gassen und Plätze des historischen Stadtkerns von Ljubljana mit den Prachtbauten der Renaissance wechseln einander ab, ohne dass ich einen Hinweis darauf entdecken kann, wie ich zur Burg komme. Von der Tromostovje, der Dreifach-Brücke rücke ich weiter in die Richtung vor, immer mal den Kopf erhoben, damit ich mich nicht unversehens vom Wahrzeichen der Stadt entferne. Die Stritarjeva, ein breiter Boulevard, führt direkt darauf zu. An ihrem Ende erhasche ich einen Blick auf das Prachtschloss zu Füßen des Hügels. Doch auch hier versperrt mir eine dichte Häuserreihe den direkten Weg, so dass ich mich abermals nach rechts wende und den Mestni Trg, eine weitere Fußgängerzone, entlang laufe. Die Straße ist dicht bevölkert von Einheimischen und Touristen, die es sich in den Straßencafé’s bequem machen oder auf Schritt und Tritt ihre Smartphones zücken, um Fotomotive und Momente fest zu halten. Es ist ein tolles, quirliges Durcheinander, in dem ich mich gerne verlieren möchte. Aber ich habe mir ein Ziel gesetzt und meine Zeit bis zur Rückfahrt ist begrenzt. Deswegen fehlt mir etwas die Muße, mich von all dem hier treiben zu lassen. Die Straße wird zusehends schmaler und mündet unversehens in einen weiteren Platz, von dem es nach links über den Gornij Trg wieder ein Stück näher an die Burg geht. Und siehe da! Mit einem Mal habe ich die Hinweistafel, die mir den Weg hinauf weist, direkt vor mir.

 



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Der Weg steigt steil an und lässt wenig Platz zwischen den Passanten und mir zu. Weil ich schnell an Höhe gewinne, bieten sich mir schon nach einigen Kehren atemberaubende Blicke über die Dächer der Altstadt. Ich erkenne die Fußgängerzonen und Plätze wieder, über die ich zum Startpunkt des Aufstieges gelangt bin. Doch es zieht mich weiter den Berg hinan und forschen Schrittes komme ich schneller als gedacht auf dem Plateau an, wo der Eingang durch die Burgmauern schon weithin sichtbar ist. Für ganz Faule gibt es hier oben sogar einen Parkplatz und auch von einer Standseilbahn habe ich gehört, die gerne genutzt wird. Wenn man jedoch einigermaßen gut zu Fuß ist, dann schafft man den Aufstieg zwar mit ein paar tiefen Atemzügen, sonst aber problemlos. Ich finde den Ticketschalter, vor dem noch nicht einmal eine Schlange steht und meine Bedenken, nicht hinein zu kommen, zerstreuen sich so schnell wie ich die Eintrittskarte für humane 15 Euro in den Händen halte. Die ganze Prozedur hat mich den Bruchteil der Zeit gekostet, die ich vorhin für die erfolglose Internetsuche aufgewendet habe. Nun also hinein in die gute Stube.

 


Im Inneren des Torbogens werde ich von einem eisernen Wesen begrüßt, das irgendwo zwischen Schlange und Drache anzusiedeln ist. Dann öffnet sich vor mir ein weiter, großzügiger Innenhof in unterschiedlichen Ebenen, mit einer Café-Terrasse und einem großen freien Platz. Dies alles wird noch innerhalb der Burgmauern von gepflasterten und gekiesten Wegen eingerahmt. Am jenseitigen Ende erhebt sich der quadratische Turm mit den beiden Flaggen und einer von mächtigen Zinnen umschlossenen Aussichtsplattform, auf der immer mal wieder die Köpfe der Besucher auftauchen. Dort hinauf möchte ich, um mir den prächtigen Rundumblick über die ganze Stadt nicht entgehen zu lassen. Durch ein enges Gemäuer führen zunächst drei breitere Holztreppen auf ein Zwischengeschoss, wo von Zeit zu Zeit Multimedia-Darbietungen stattfinden. Danach steht mir heute nicht der Sinn. Ich drängele mich an den Wartenden vorbei zu einem schmalen Mauerdurchlass, an den direkt eine eiserne Wendeltreppe anschließt. Wie in einem vertikalen Bohrer zieht es mich nach oben. Der Weg scheint aber kein Ende zu nehmen. So hoch kam mir der Turm von außen gar nicht vor. Endlich erreiche ich das Loch zur Plattform. Hier ist es krachend voll. Mit Mühe erwische ich einen Platz an der dicken steinernen Balustrade und kann den Blick schweifen lassen. Tief unter mir liegt die Altstadt mit ihren Boulevards, Plätzen und dem geschäftigen Treiben in den Fußgängerzonen. Es ist, als würde ich auf einen Ameisenhaufen blicken. Auf der Ljubljanica, dem Fluss, der in weitem Bogen mitten durch die Innenstadt fließt, fahren Touristenboote. Die Fernsicht jedoch ist noch beeindruckender. Die Berge, die hier in der Nähe nicht ganz so hoch sind, bilden größtenteils einen Ring um die Stadt. Weiter weg sind schon imposantere Gebirgsketten zu erkennen. Alles ist grün, nicht nur in der Umgebung, auch das Stadtgebiet ist von sattgrünen Adern durchzogen. Die roten Dächer, die farbenfrohen Fassaden, der Fluss, die Natur, alles bildet ein harmonisches Potpourri einer mediterranen Metropole. Jetzt bekommt die Namensdeutung der geliebten Stadt ein Gesicht, das zu ihr passt. Die Kraft der Liebe scheint bis auf diesen Turm zu gelangen. Mehrmals mache ich meine Runde auf der Plattform, verweile, schaue, gehe weiter, schaue wieder. Es ist ein Anblick, an dem ich mich nicht satt sehen kann. Doch es zieht mich wieder hinab. So schön der Rundumblick von hier oben ist, ich möchte eintauchen in das Geschehen dort unten, Teil der Magie sein, die zwischen den Häusern, Brücken und Menschen fließt.

 


So nehme ich den Bohrer abwärts, verweile noch ein wenig im Innenhof und schlendere auf einem anderen Weg als dem, den ich rauf gekommen bin, nach unten. Er ist steiler und ich muss aufpassen, dass ich auf dem feinen Kies nicht ins rutschen gerate. Unten angekommen, überquere ich zunächst einen großen Markt, den ich auch von oben schon gut erkennen konnte. Ich sehe aber, dass die meisten Stände gerade abgeräumt werden und verkneife mir deshalb den Rundgang. Eine der Brücken bringt mich rüber auf die Promenade, wo sich die Cafè’s und Bistro’s aneinander reihen. Nach links geht es zur bekannten Dreifach-Brücke, nach rechts weist der Pfeil zur Drachenbrücke, die so heißt, weil die Enden der steinernen Geländer von bronzenen Drachenskulpturen gekrönt werden. Ich schlendere noch ein wenig am Flussufer entlang, muss aber bald schon meine Schritte in Richtung des Bahnhofs lenken, um meinen Zug oder Bus zurück nicht zu verpassen. Richtig, es muss noch Zeit für die Erkundigung bleiben, ob ich wieder den Schienenersatzverkehr nehmen muss.

 

Auf die slowenische Bahn ist im Wesentlichen deutlich mehr Verlass als auf die deutsche. Das merke ich an den Reaktionen der anderen wartenden Passagiere am Bahnsteig, als angezeigt wird, dass der Zug erst eine halbe, dann eine dreiviertel und schließlich eine ganze Stunde Verspätung hat. Junge Junge, der einzige Zug des ganzen Tages mit Verspätung ist ausgerechnet meiner. Während die Leute um mich her fassungslos auf die Anzeige blicken, den Durchsagen lauschen und hektisch ihre Mobiltelefone bedienen, lasse ich mich schmunzelnd auf einer der Bänke nieder. Kommt ihr doch mal nach Deutschland…

 

Der Teilabschnitt von Ljubljana nach Celje, der mir am Vormittag entgangen ist, darf getrost als eine der landschaftlich beeindruckendsten Zugfahrten in meine Lebensgeschichte eingehen. Die Save, die wilde Schwester der Drau, begegnet mir kurz nach der Abfahrt noch als breiter, träge dahin fließender Strom. Doch schon bald komme ich in den Genuss ihrer Wildheit. Die dicht bewaldeten Berghänge beiderseits des Bahndamms erwachsen sich zu imposanten Kaventsmännern, die auch locker den heimischen Mittelgebirgen zur Ehre gereichen. Nur wenige Meter unter meiner Sitzposition rauscht rechterhand das Wasser in atemberaubendem Tempo durch sein Bett aus Fels und Geröll, als ob es mit der Geschwindigkeit des Zuges Schritt halten wolle. Zuweilen weiß ich nicht, ob ich den Blick zuerst nach oben oder nach unten richten möchte ob des rasanten und gleichermaßen majestätischen Naturschauspiels, das sich mir hier darbietet. Kurz kommt mir der Gedanke, dass alles, was hier an Starkregen oder Schneeschmelze den Weg ins Tal findet, in dieser kleinen wilden Dachrinne zu meiner Rechten landen muss. Was mag dann wohl mit den Häusern an den Hängen, den kleinen Bahnhöfen mit den Zungenbrechern auf den Schildern und der kurvenreichen Straße am anderen Ufer passieren? Als der Zug die Ortschaft Zidani Most passiert, verabschiede ich mich von der Save, nur um gleich darauf ihre kleine, aber nicht minder wilde Schwester, die Savinja zu begrüßen, die in den Alpen entspringt und sich hier mit der Save vereint. Wir folgen ihrem Verlauf bis Celje, wo die Berge zu Hügeln werden und der Abendhimmel wieder mehr Platz am Horizont einnimmt.


Als der Zug in Ptuj einfährt, ist es schon fast dunkel. Ein weiterer erlebnisreicher Tag geht mit dem Spaziergang vom Bahnhof zum Hostel zu Ende. Es bleibt das schöne Gefühl, dass dieser Ausflug keine Notlösung für einen anderen gewesen ist. Absolut nicht.

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