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Dörfer, Wein und ein langes Tal

  • Autorenbild: Ted Mönnig
    Ted Mönnig
  • 17. Juli
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Juli


(Am ersten Anstieg nach Dravinjski Vrh ist ein schöner Blick zurück Richtung Ptuj möglich)
(Am ersten Anstieg nach Dravinjski Vrh ist ein schöner Blick zurück Richtung Ptuj möglich)

Die Sonne weckt mich durchs halb geöffnete Dachfenster. Natürlich ist es um diese Jahreszeit noch viel zu früh, doch ich weiß genau, dass es nichts nützt, mich jetzt nochmal umzudrehen. Das Bett ist ohnehin nass geschwitzt; nach dem Regen gestern Abend ist von einer Abkühlung nichts zu spüren. Also raus mit mir. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass der Bäcker gegenüber schon geöffnet hat. Schön, denn so habe ich gleich die frischesten Brötchen und ganz viel Zeit, die ich vor meinem großen Vorhaben heute am Frühstückstisch verbringen kann.

 

Heute ist der Tag gekommen, an dem ich Opa Johanns Heimatdorf besuchen möchte. Schon an dem Tag, als ich den Namen der Ortschaft erfahren habe und sie gut auf den Karten lokalisieren habe können, ist für mich klar gewesen, dass es für mich nur eine Art und Weise geben kann, dorthin zu gelangen: nämlich die zugleich schlichteste wie respektvollste, die man sich überhaupt vorstellen kann.

 


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„Zu Fuß“ bedeutet für mich natürlich, dass ich mich im Laufschritt bewegen möchte, wo immer es möglich ist. Bei der Planung der Strecke ist mir sehr schnell bewusst geworden, dass es alles andere als ein Spaziergang werden würde. Ganz unabhängig von den fast 37 zurück zu legenden Kilometern sind auch noch einige Bergrücken zu überwinden und ich weiß auch nicht genau, wie die Wege beschaffen sein werden. Der Aspekt, der heute noch hinzu kommt, ist die Wettervorhersage. Bis zu 31 Grad sollen es werden. Halleluja. Aber wer sagt, dass es leicht ist? Je mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich, dass dieser Weg heute mühsam sein muss, einfach, weil man ein solch bedeutungsvolles Vorhaben nicht „mal eben“ abreißt. Auf jeden Fall kommt mir die frühe Stunde zugute, denn so kann ich auch früher aufbrechen als ich es ursprünglich geplant habe.

 

Mein Weg führt mich zunächst an der Hauptstraße entlang in südlicher Richtung zur Stadt hinaus. Die Drau spielt heute keine Rolle, weil ich mich von ihr weg bewege. Die Autobahn kommt in Sichtweite und entfernt sich wieder, während ich mich in einem langen Südostbogen auf das erste Dorf mit dem Namen Pobrežje zu bewege. Hier ist auch der Zeitpunkt gekommen, wo ich mich auf den stillen, verschlafenen Nebenstraßen durch die Landschaft schlage. Niedrige Häuser, anschlagende Hunde jeder Größe, jeden Temperaments und jeder Lautstärke, neugierige Blicke aus Vorgärten und von den Sitzen der Trecker herab. Nichts anderes als bei uns zu Hause. Der Mais steht mannshoch und bei einer mächtigen Linde und einer kleinen, in dem hier üblichen sonnengelb getünchten Kapelle teilt sich die Straße. Zunächst bin ich unschlüssig, in welche Richtung ich mich wenden soll, weiß aber schnell die Navigation der Uhr zu schätzen.

 


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So gelange ich bald ins nächste Dorf, Videm pri Ptuju, wo ich erst ein Flüßchen und gleich darauf eine Hauptstraße überqueren muss, um dem Wegweiser nach Dravinjski Vrh zu folgen. Inzwischen habe ich acht Kilometer zurück gelegt, die recht flüssig zu absolvieren waren. Jetzt aber wird es spannend. Es gilt, den ersten Bergkamm zu überwinden. Linkerhand geht es knackig hinauf, im Zickzack, wie man es von Serpentinen kennt. Noch hält sich alles im Rahmen, aber ich spüre jetzt schon, dass meine ganze Kondition erforderlich sein wird, um hier noch im Trab zu bleiben. Zudem brennt die Sonne schon ganz ordentlich. Mögen es beim Start um die 23 Grad gewesen sein, so fühlt es sich jetzt schon wie 30 an. Der Schweiß tropft mir von der Stirn und sammelt sich in allen Falten und Ritzen, die mein Körper im Laufe der Jahrzehnte gebildet hat. Junge, wann hab ich eigentlich so abgebaut? Auch als ich nach etlichen Kehren oben ankomme, ist die Entspannung nur kurz. Es geht ein wenig abwärts, aber hinter der nächsten Kurve auch gleich wieder hoch.

 


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Die letzten Häuser des Dorfes bleiben hinter mir zurück und ich finde mich inmitten der Weinberge wieder. Wo haben die begonnen? Beiderseits der Straße das gleiche Bild: Weinstöcke, so weit das Auge reicht. Sie stehen nicht so eng wie an Saar und Mosel, die Reihen sind etwas großzügiger bemessen und das Gras dazwischen ist von kaum wahrnehmbaren Trampelpfaden durchzogen. Die Dörfer ähneln sich, nur die Namen wechseln, für unsere deutschen Zungen teils unaussprechlich. Die zum gleichen Dorf gehörenden Häuser sind weit verstreut, nur die zu den Hausnummern geschriebenen Namen weisen auf diese oder jene Ortschaft hin. Hier gibt es keine unterschiedlichen Straßennamen. Die Häuser tragen den Namen des Dorfes mit einer Nummer, zum Beispiel Podlehnik 3a. Hier überquere ich auch die Autobahn, nur um mich gleich darauf über einen zweiten, noch höheren Kamm quälen zu sehen. Immer wieder nehme ich kleine Schlucke von dem Wasservorrat, den ich auf dem Rücken trage. Der Beutel war mit drei Litern prallvoll, als ich los gelaufen bin, jetzt wird er immer leichter. Auch wenn sich das geringere Gewicht beim Laufen angenehm bemerkbar macht, wächst doch die Sorge. Wie lange reicht meine kostbarste Ressource? Dabei habe ich Opas Heimatdorf noch nicht einmal erreicht. Das soll erst nach 22 Kilometern soweit sein.

 


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Seit mir mein Onkel zum ersten Mal von dem Dorf erzählt hat, habe ich eine Vision davon: ich stehe auf einer Anhöhe und blicke hinab in das Tal, wo sich eine lange Reihe Häuser wie an einer Perlenkette entlang der einzigen Straße erstreckt. In weiten Bögen schlängelt sich die Straße hinab, um sich nach den letzten Häusern wieder zwischen den Hügeln zu verlieren. Soweit meine Vorstellung. Als ich es endlich erreiche, ist es ganz anders. Unvermittelt tauchen hinter einer Biegung zwei Häuser und eine Scheune auf. Danach erstmal wieder nur Felder und Wiesen. Linkerhand der Wegweiser zu einem alten Weinberg, von dem ich gehört habe, dass er einmal im Besitz der Familie gewesen sein soll. Inzwischen sind die alten Reben jedoch abgeholzt und auch der Besitzer hat gewechselt. Den Abstecher da hinauf spare ich mir bei der Hitze. Nach zwei weiteren großzügigen Straßenbiegungen – ohne jegliche Bebauung – kommt wieder auf der linken Seite ein großer, farbenfroh gestrichener Bienenstock in mein Blickfeld. Ein Haus daneben, ein Kleinbus davor, sonst nichts. Die enge Straße führt in weiten Kurven in ein Waldstück. Der Schatten tut gut, aber mein Wasservorrat ist jetzt aufgebraucht. Ich habe noch knapp 15 Kilometer vor mir und muss eine Möglichkeit finden, wieder aufzufüllen. Bei Haus Nummer 22, das etwas den Hang hinauf steht, gewahre ich in einem verfallenen Gemäuer eine Bewegung. Tatsächlich, da arbeitet jemand. Ich bin kurz davor, zu rufen und zu fragen, als mir eine Idee kommt. Wo ein Tal ist, hat sich bestimmt auch ein Wasserlauf sein Bett gegraben. Und tatsächlich, nur wenige Meter rechts neben der Straße, verborgen hinter Bäumen, Buschwerk und kniehohen Brennesseln plätschert munter ein Bach. Ich tauche ein ins schattige Dickicht. Welch glückliche Fügung, welch köstliche Erfrischung! Ich ziehe die Schuhe aus und stelle mich barfuß ins kühle Nass und schöpfe Becher um Becher, die ich begierig austrinke. Der Kies unter meinen Sohlen sticht ins Fleisch und lässt meinen Stand instabil werden, aber das stört mich nicht. Ich nehme die Trinkblase aus dem Rucksack und lasse sie voll laufen. Weil der Bach nicht tief genug ist, gelingt das nur halb. Den Rest fülle ich mit Hilfe des Bechers auf. Genau für einen solchen Moment habe ich mir diese Ausrüstung vor zwei Jahren zugelegt. Genau in diesem Moment macht sie sich bezahlt! Und obwohl sich meine Emotionen beim Durchqueren des Dorfes bisher auf seltsame Weise in Grenzen gehalten haben, wage ich nun einen Blick hinauf zu den dicht bewaldeten Hängen beiderseits und danke Johann im Stillen, dass er mich hierher geführt hat. Ein längst verstorbener Großvater als Lebensretter…

 


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Weit oben kreist majestätisch ein Milan. Ich versuche, ihn mit der Kamera einzufangen, bin aber zu langsam oder zu ungeschickt oder etwas von beidem. Es ist an der Zeit, meinen Weg fortzusetzen. Vor mir liegt noch ein langes Ende, auch wenn der härteste Teil der Strecke hinter mir liegt. Von nun an führt die Straße leicht bergab, abgesehen von einer kleinen Anhöhe, die dieses Dorf vom nächsten trennt. Außer dem Arbeiter sehe ich keine Menschenseele, nicht auf der Straße und auch nicht im sichtbaren Teil der Grundstücke. Nun, auch hierzulande sind Sommerferien und bei der Hitze geht niemand freiwillig raus, wenn er nicht so verrückt ist wie ich. Zwei Autos überholen mich und nach den letzten beiden Häusern macht die Straße eine scharfe Linkskurve über eine Brücke. Damit habe ich nun das Dorf, das in den letzten Wochen und Monaten meinen Kopf in allen möglichen Variationen beschäftigt hat, hinter mir gelassen.

 



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Nach vier weiteren Dörfern, von denen eines den lustigen Namen Apače trägt, kommen erst die Autobahn und fast zeitgleich die Eisenbahnlinie und kurze Zeit später auch die inzwischen vertraute Burg in mein Blickfeld. Die Erschöpfung ist längst zu spüren und ich gönne mir nun auch auf flachen Abschnitten Gehpausen. Immerhin habe ich jetzt schon deutlich mehr als dreißig kräftezehrende Kilometer mit viel Auf und Ab in der Affenhitze in den Beinen. Als ich von der Nebenstraße links auf die gleiche Hauptstraße biege, die mich vor 5 Stunden aus der Stadt hinaus geführt hat, trabe ich glücklich und gelöst die letzten Meter auf das vertraute goldgelb gestrichene Haus zu, in dem sich meine Herberge befindet. Es war gewiss die erwartet schwere Tour, teils noch härter als ich es mir im Vorfeld ausgemalt habe, aber wer sagt, dass ein solches Vorhaben leicht sein darf?

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