Laufen ist...
- Ted Mönnig
- 16. Aug. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Ich fand es immer unpassend, über’s Laufen zu schreiben. So blöd, wie wenn man über’s Schreiben schreibt. Aber heute möchte ich Euch erzählen, was laufen für mich bedeutet.
Laufen ist viel mehr als Strecken, Höhenmeter und Zeiten, auch wenn diese Kriterien im Wettkampf natürlich als zählbare Größen über die Platzierung entscheiden können. Laufen ist ein Lebensgefühl! Ganz gleich, was du für Klamotten oder Schuhe bevorzugst; vollkommen schnuppe, ob du dich einer Uhr unterwirfst: wenn du vor die Tür gehst, Sonne und Wind im Gesicht spürst und die frische kalte Dezemberluft in tiefen Zügen aufsaugst, bist du ein anderer Mensch als noch kurz zuvor.
Oft höre ich die Frage, ob ich es mit dem Laufen nicht übertreibe. Wie soll das gehen? Irgendwann werden die Beine schwer oder der Kopf sagt, es ist genug. Bis dahin ist es eben nicht genug! Danach führen meine Schritte mich von ganz alleine wieder nach Hause. Bei einem Wettkampf geht das natürlich nicht so einfach; da muss ich beißen, vom handzahmen Teddybär zum Raubtier werden, immer auf der Jagd nach dem Sportler, der sich gerade vor mir befindet.
An Laufwettkämpfen liebe ich das Kribbeln, wenn ich mit anderen an der Startlinie stehe, Sekunden bevor sich die wilde Meute in die Straßenschluchten oder Waldwege stürzt. Ich spüre keine Nervosität in den Augenblicken vor dem Start; es ist mehr gespannte Vorfreude auf das, was mich auf den folgenden Kilometern erwartet, auf den sportlichen Wettstreit, auf die Leute am Streckenrand, auf meine Umgebung. Augen auf beim Dauerlauf! Alle Sinne auf Input! Ich schaue den Frauen oder Männern neben mir in ihre Gesichter und sehe die Anstrengung, aber auch das Glück, das man beim Laufen empfinden kann. Wenn ich mich dazu in der Lage fühle, spreche ich sie an. Manchmal entwickelt sich eine interessante Unterhaltung, manchmal eben nicht. Auch so lernt man sich kennen; andere und ein Stück weit sich selbst.
Manche Menschen fragen mich, vor welchen Problemen ich davon laufe. Als ob ich das nötig hätte! Natürlich habe ich ähnliche Sorgen wie viele von Euch auch. Aber ich laufe nicht vor ihnen davon – ich löse sie! Wer läuft, kennt das: wenn der Körper seinen Rhythmus gefunden hat, fängt der Kopf von ganz allein an zu arbeiten. Es hat nichts von dem Grübeln im stillen Kämmerlein, bei dem sich die Gedanken im Kreis drehen. Beim Laufen geht es geradeaus, manchmal überraschend um die Ecke oder einen Berg hinauf oder auch wieder hinab, mal flott, mal gemächlicher. So verlaufen auch die Wege der Gedanken. Und wenn du lange genug gelaufen bist, kommt irgendwann die eine Idee, die den Knoten platzen lässt. Damit hast du das Problem zwar noch lange nicht gelöst, aber du weißt, wie du es angehen musst.
Weil denken alleine nicht immer hilft, laufe ich gern mit Freunden. Hier finden sich nicht nur gleiche Interessen, sondern oft auch ähnliche Ansichten zu den vielfältigen Themen, die uns täglich unter den Nägeln brennen. Einem Freund (egal welchen Geschlechts) zuzuhören, schafft im eigenen Kopf auch Platz für neue Denkweisen. Ich lerne hier auch aus einer anderen Sicht zu betrachten, was mich bewegt. Dem einen hilft es, seine Ängste in Worte zu fassen und mit mir zu teilen; mir hilft es, Alltagsprobleme zu relativieren. Am Ende geht es allen besser.
Es geht aber beim Laufen nicht nur um Bewältigung. Es geht vor allem um Spaß! Was gibt es schöneres als in die Klamotten zu schlüpfen, die Schuhe zu schnüren und den ersten Schritt zu machen? Brauchst du Musik dabei? Dreh sie auf! Lache laut, wann immer deine Lunge es dir erlaubt! Schau dich um, die Welt ist nicht schwarz-weiß! Egal wo deine Schritte dich hinführen, es geht immer weiter! Nun gut, ich habe auch schon mal unversehens am Rand der Autobahn gestanden und musste den eingeschlagenen Weg ein Stück zurück laufen (mit einem leichten Seufzer, wenn man schon 27 Kilometer in den Beinen hat). Wer läuft, schlägt neue Richtungen ein, erkundet neue Gegenden, gewöhnt seinen Körper an verschiedenste Geländeformen und schärft seine Sinne für seine Umgebung. Macht Laufen uns intelligenter? Eine gewagte These, aber ich glaube daran! Eine Studie hat mal ergeben, dass Probanden Rechenaufgaben schneller und fehlerfreier lösen, wenn sich während dieses Prozesses der Körper sportlich bewegte. Auch empfanden diese Menschen die gestellten Aufgaben leichter, als wenn sie dabei zum Beispiel auf einem Stuhl sitzen mussten. Hört sich verrückt an? Ist es auch!
So wie viele Läufer bin auch ich ein bisschen verrückt. Das muss ich auch sein. Denn warum sonst spule ich freiwillig Woche für Woche –zig Kilometer im Laufschritt ab, nur um mich frei, beschwingt, erleichtert oder einfach nur gut zu fühlen? Es ist purer Spaß und Verrücktheit gehört dazu.
Jeder von uns empfindet Laufen anders, und das ist auch gut so! Nicht alle mögen Wettkämpfe, Tempoläufe oder Intervalltraining. Der gesundheitsbewusste Trippler hat genauso seine Daseinsberechtigung wie die leichtfüßige Gazelle oder das muskelbepackte Trampeltier. Ich bin mehr der Typ Orang-Utan, so die charmante Umschreibung aus dem Mund meiner Frau… Es gibt Trailrunner, denen es auf der Strecke nicht holprig genug zugehen kann wie auch den klassischen Straßenläufer, der nur auf Asphalt richtig aufblüht. Mag jeder für sich herausfinden, was das Beste für sie oder ihn selbst ist.
Und Nichtläufer? Kann man zu ihrem Glück nicht zwingen. Ist auch gut so, denn sonst würde es da draußen ganz schön voll werden und die Autoindustrie wäre nicht mehr Deutschlands Wirtschaftslokomotive. Aber vielleicht können auch Nichtläufer über meine Ansichten nachdenken oder schmunzeln. Dann hätte dieser Text schon mal was bewirkt.
© T. Mönnig
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