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  • AutorenbildTed Mönnig

See you in my dreams


(Bild: welt.de)


Vielleicht würde dies meine letzte richtige Erinnerung an ihn sein. Nicht so eine, die man sich als Videosequenz auf den gängigen Kanälen immer wieder reinziehen kann, sondern eine eigene, mit allen Sinnen, Gerüchen, der Umgebung, der Vibration in der Luft und der unvergleichlichen Atmosphäre, wenn man selbst inmitten der Menschenmenge steht und alles hautnah mitbekommt.


Für die letzte, wirklich unwiderruflich letzte Zugabe dieses Abends kam Bruce Springsteen ganz allein auf die Bühne. Er stand da, aus meiner Perspektive winzig klein im Zentrum dieser gigantischen Konstruktion, all den verwaisten Instrumenten, Geräten und Lautsprechern. Nur er, seine Gitarre und seine Mundharmonika auf dem unverzichtbaren Metallgestell um seinen Hals. Überlebensgroß auf den Videowänden. Sichtlich gealtert, mit den ergrauten, nach hinten gekämmten Haaren. Das schmale Gesicht mit den unverkennbar kantigen Zügen und den Falten, die von einem bewegten Leben erzählten. Im schwarzen Oberhemd mit den aufgekrempelten Ärmeln, die einen Blick auf die trotz seiner Jahre immer noch muskulösen Arme gestatteten.


Es wurde still im weiten Rund des Düsseldorfer Stadions, so still, dass man einzelne Personen husten hören konnte. Die Beleuchtung verlosch. Nur ein einzelner Spot war auf ihn gerichtet. Auf den Rängen mehrten sich die Lichter der Smartphones. Als er anhob zu singen, wussten die meisten schon nach der ersten Zeile bescheid. Doch kein Applaus brandete auf. Es blieb still. Geschätzte hunderttausend menschliche Ohren lauschten ergriffen seinem Vortrag. Bei der Refrainzeile „I see you in my dreams“ hörte man viele Stimmen aus dem Publikum, wie sie genauso verhalten und ehrfürchtig einstimmten. Er sang dieses Lied, das er für einen verstorbenen Freund geschrieben hatte, mit einem solchen Gefühl, so verletzlich und zerbrechlich, dass ich nicht anders konnte als regungslos da zu stehen und meinen Tränen freien Lauf zu lassen. Ich wischte keine einzige davon ab.


Vielleicht, weil mir in diesem Moment dämmerte, dass es möglicherweise das letzte Mal sein würde, dass ich Gelegenheit zu einem solchen Konzerterlebnis bekam. Vielleicht, weil ich spürte, dass mir für die Jahre zwischen seinem und meinem unvermeidlichen Lebensende dies das Einzige sein würde, was mir von ihm bleibt: see you in my dreams.


Mag sein, dass ich in diesem Moment einen Menschen bei mir hätte haben müssen, der mich in den Arm nimmt. Andererseits war es auch gut und richtig, allein gewesen zu sein. Allein mit diesem Lied, mit der Stille drum herum, mit den Emotionen, die mich überrollten. Allein mit den Erinnerungen, die mich im Zusammenhang mit der Musik von Bruce Springsteen seit meinem fünfzehnten Lebensjahr begleiten. Allein mit der unerschütterlichen Gewissheit, dass dieser kleine und doch so große Mann da vorn auf der riesigen Bühne im Laufe der Jahrzehnte zu einer Art Gefährte für mich geworden ist. Still, bescheiden, im Hintergrund, nur mit Worten und seiner Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Die mich und viele meiner Generation geprägt hat. Die mich aufgerichtet, getröstet, gepusht, motiviert, zum lachen, weinen, toben und jubeln gebracht hat und immer wieder unglaublich schöne Dinge in meinem Brustraum anstellt.


„See you in my dreams“ hat mich in diesem Moment anstelle eines geliebten Menschen in den Arm genommen, so dass ich ungehemmt weinen konnte.


Das ist es, was am Ende bleibt.


(C) T. Mönnig, 22.06.2023

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